Deutschstunde

Nein, es geht hier nicht um die „Deutschstunde” von Siegfried Lenz sondern um die vergnügliche Geschichte zwei moslemischen Asylbewerbern sowie einem Chinesen unsere Sprache ein wenig näher zu bringen und um Ihnen Mut zu machen, sich ebenso in dieser oder einer anderen Form beim „Arbeitskreis Asyl Ettlingen” zu engagieren.

Seit Januar diesen Jahres gehe ich meine ersten Schritte im Arbeitskreis Asyl. Pegida hat auch sein Gutes, das mag Sie schockieren, aber ohne diese Bewegung hätte ich mich vermutlich nie von meiner bequemen Couch bewegt, um ein Zeichen für Menschlichkeit und gegen Ausgrenzung zu setzen. Dass ich irgendwann einmal Deutsch „unterrichten” würde, hätte ich nie geglaubt…und wenn Sie die vielen Fehler in meiner Orthographie und Interpunktion entdecken, werden Sie mit meinen früheren Deutschlehrern übereinstimmen, dass ich zwar Texte verfassen kann, aber alles andere eher im Bereich „mangelhaft” anzusiedeln ist. Aber darauf kommt es hier gar nicht an (zumindest nicht aus meiner Sicht).

Wir alle wollen, dass sich Asylanten bei uns integrieren und sie selber wollen das auch, so mein erster Eindruck. Grundvoraussetzung dafür ist die gemeinsame Verständigung und somit die gemeinsame Sprache. Da nur wenige von uns Arabisch, Chinesisch oder andere Sprachen lernen werden, trotz allen Mitgefühls das wir den Asylanten entgegen bringen, ist eine Integration nur möglich, durch das Erlernen der deutschen Sprache. Wie ich gehört habe (bitte recherchieren Sie, ob dem wirklich so ist), ist es Baden-Württemberg pro Jahr 96€ Wert diese Kenntnisse zu erlangen. Eine „immense” Summe wenn man sie auf die Woche von nicht einmal 2€ pro Person umrechnet. Wenn man weiter bedenkt, dass unsere Sprachen mit denen der meisten Asylbewerbern keinerlei gemeinsame Wurzeln haben und nicht einmal das Schriftbild einen gewissen Wiedererkennungswert darstellt, dann sind 2€ weit weniger als der Tropen auf den heißen Stein, um eine Integration gelingen zu lassen. Ich fordere hier nicht mehr als die 2€ (zumindest nicht in diesem Beitrag), aber ich fordere Sie als die natürliche Quelle und Fluss unserer Sprache.

Lassen wir es mit dem moralischen Aufruf zu helfen. Ich habe Ihnen Eingangs etwas Vergnügliches versprochen, so soll es auch sein:

Am Anfang durfte ich bei einer ehrenamtlichen Helferin beim Deutschunterricht dabei sein, um langsam in den Unterricht hinein zu schnuppern. Zwei moslemische Asylbewerber aus Palästina und Syrien wurden in die Geheimnisse der deutschen Sprache eingeführt. Nach zwei, drei Terminen kam auch noch ein Chinese hinzu. Keiner von Ihnen hatte jemals Deutsch in der Schule gehabt, keiner von uns beiden hatte jemals Arabisch oder Chinesisch gelernt. Die Verständigung begann mit einem einfachen Deutschbuch für Asylbewerber das teilweise die Begriffe, um die es ging, in ihrer Heimatsprache enthielt. Darüber hinaus konnten wir Dinge zeigen, aufmalen oder wie im Spiel „Activity” pantomimisch vorspielen. Naturgemäß kam es dabei zu viel Gelächter, weil unsere Darstellungsfähigkeit oder die Phantasie der Asylbewerber zu den abenteuerlichsten Interpretationen führte. Bilderbücher von Zwei- bis Dreijährigen dienen mit ihren Abbildungen einen Wortschatz aufzubauen. So wurde eine „Garage” vom Chinesen als „Auto Haus” beschrieben. Irgendwie schon richtig erkannt, wie ich fand. Aber das Zeigen aus dem Fenster des Asylheims in der Pforzheimer Straße zum benachbarten Mercedes Haus klärte dann, was man wohl eher unter einem „Auto Haus” versteht. Die nächste Bilderbuchseite zeigt einen Jungen im Badezimmer der sich seine Zähne putzte. Ein „Bademantel” kommt ins Spiel, weil er irgendwo auf dem Bild herum hängt. Einen „Mantel” kannten sie schon aus der „Lektion” als wir Kleidungsstücke behandelten. Aber warum zieht man einen „Mantel” zum Baden an? Das ist zugegeben unlogisch, wenn man sich das mal als Außenstehender betrachtet. Aber ich denke sie haben es letztendlich doch verstanden. Schließlich gab es auf der Seite auch noch einen „Seife” zu sehen. Ich weiß nicht wie der Chinese da drauf kam, aber auf einmal zeigte er mir in seinem Übersetzungscomputer das Wort „Parfum”. Ähnlich wie beim „Auto Haus” lag er ja nicht total daneben, aber wie machen macht man ihm nun klar, dass das Parfum nicht gleich der Seife ist? Fragen Sie mich bitte nicht was unsere Lösung war. Auf jeden Fall war sie lustig.

Eine Woche vor Karfreitag war es nun soweit. Die eigentliche Helferin die den Deutschunterricht sonst übernahm und die ich bisher assistieren durfte, konnte den Unterricht an diesem Tag nicht übernehmen. So hatte ich meine Feuertaufe als Deutschlehrer. Ich überlegte mir zwei Dinge die ich in der Stunde davor beobachtet hatte, mit denen unsere Freunde Probleme hatten. Das eine war der Kalender und Zeitabschnitte wie „diese Woche”, „nächste Woche”, „übermorgen”, „vorgestern”, das andere was ich in der Hinterhand hatte, falls sie zu schnell beim Lernen gewesen wären, waren Rechenaufgaben wie „geteilt”, „plus”, „minus” und „mal”. Mit den Zeiten kamen Sie gut zu Recht. Eine Graphik die vorher und nachher erklärten half ihnen die zeitlichen Zusammenhänge zu verstehen. Ein netter Nebeneffekt war, dass ich nun weiß wann sie alle Geburtstag haben. Wir scheinen alle „Zwillinge” zu sein (auch wenn der Chinese die Sternzeichen naturgemäß anders sieht) und liegen nur wenige Tage, abgesehen von den Jahren, auseinander. Was mich aber wirklich überraschte war der Hinweis des Chinesen, dass ich mich bei den dann folgenden Rechenaufgaben verrechnet habe. Er hatte zwar Probleme in der Aussprache der Aufgaben um die es mir in erster Linie ging, aber hatte viel Freude mir zu zeigen, dass ich nicht richtig rechnen konnte. 1:0 für meinen Freund 🙂

DeutschstundeUnterricht im „Klassenzimmer” ist öde, daran erinnerte ich mich aus der Schulzeit. Immer wenn das Wetter schön war versuchten wir unseren Lehrer zu überzeugen draußen auf dem Rasen zu lernen. Wir versprachen ihm, dass wir ganz bestimmt aufpassen würden. In diesem Sinne und weil zur Integration auch die Erkundung der Umgebung gehört, verabredeten wir uns für die kommende Woche am Karfreitag in der Stadt vor dem Schloss zu treffen, um auf den Spuren eines historischen Stadtrundgang s zu wandeln. Ich war gespannt, ob sie wirklich Ort und Zeitpunkt verstanden hatten. Als ich aber kurz vor dem Treffen eine WhatsApp erhielt „wo ich denn bliebe”, konnte ich sicher sein, dass sie wie verabredet dort waren. Unterwegs musste ich verschiedenste Vokabeln erklären wie den „Schlosshof”. Sofort sagte der Syrer „Bahnhof”. Richtig, auch dort gibt es den „Hof”. Später kam dieser auch noch im „Badischen Hof” vor. Seltsam, warum mache ich mir im täglichen Leben nie um diese Worte Gedanken? Meine Freunde halfen mir die eigene Sprache neu zu entdecken.

Nächster Haltepunkt ist der „Rosengarten”, aber ohne „Rosen” oder zumindest ohne „Rosenblüten”. Der Chinese scheint die „Rosen” trotzdem zu erkennen. Natürlich sind es bei ihm eher „Losen”, aber er wird immer besser mit der Aussprache seines „R”. Die Zunge versucht dabei sichtbar alle möglichen Regionen seines Mundes zu erreichen, um annähernd den Laut eines „R” zu erzielen. Wenn ich bedenke, dass die Chinesen ein und dieselbe Silbe wie „qi” in vier verschiedenen Betonungen und Tonhöhen aussprechen können und diese dann total unterschiedliche Bedeutungen haben, dann denke ich, dass ein deutsches „R” alles andere als eine herausragende Sprachkunst darstellt, trotz Goethe… abgesehen davon, dass es sich wirklich sehr hart anhört. Meinen Respekt hat er auf jeden Fall, vor allem weil er sich durch mein Lachen, das nicht böse gemeint ist, nicht entmutigen lässt!

Wir kommen am TUI Reisebüro vorbei. Der eifrige Chinese liest laut vor was er vor sich findet. Warum man an das Wort „Reis” noch ein „e” hängt versteht er zunächst nicht. Aber auch hier erklärt ihm sein Übersetzungscomputer, dass es sich nicht um einen Lebensmittelladen handelt. Er muss selber herzlich lachen. Der Syrer hat weniger das Problem mit dem „Reis” als vielmehr mit dem Verständnis, dass man in die Türkei als Urlauber reist, wo momentan noch seine Frau und sechs Kinder darauf warten als Asylanten, teilweise ohne Papiere, nach Deutschland ausreisen zu dürfen. Das Problem kann kein Sprachunterricht lösen.

Das Rathaus wird zunächst als möglicher Wohnsitz der Kirche von meinen Freunden identifiziert. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihnen den wahren Hausherrn habe erklären können. Aber zumindest hatte ich kurz darauf die Chance dem Moslem und Chinesen, dessen Glauben ich nicht kenne, die Martinskirche von innen zu zeigen. Wir hörten einen Kirchenchor der probte. Die beiden waren sichtbar beeindruckt vom Gesang, den Gemälden und dem Ambiente der Kirche. Als einer der beiden sich daraufhin in eine Bankreihe setzte und seine Füße auf der Betbank vor ihm stellte, zeigte ich erst einmal den beiden wofür denn diese eigentlich gedacht sei. Mit einem Lächeln bedankten sie sich für die Erläuterung. Das brachte mich zur Überlegung doch einmal in einer der nächsten Exkursionen in die Moschee in der Rheinstraße zu gehen. Dem Chinesen wird das auch nicht schaden.

Für Samstag in einer Woche (ich hoffe meine Lerneinheit zu den Zeiten trägt Früchte und sie verstehen es) haben wir uns wieder vor dem Schloss verabredet. Dann möchte ich mit ihnen auf dem Wochenmarkt in Ettlingen Gemüse einkaufen gehen und im Anschluss zusammen eine klare Gemüsesuppe im Asylantenheim kochen.

Nur gut, dass sie nicht wissen, dass ich außer Deutsch auch nicht kochen kann 🙂

10 Jahren ago