Interkulturelle Kompetenz in der ehrenamtlichen Zusammenarbeit mit Flüchtlingen – Teil 2

Mehrnousch Zaeri-Esfahani (Fotograf: Gustavo Alàbiso)
Mehrnousch Zaeri-Esfahani (Fotograf: Gustavo Alàbiso)

In ihrem Vortrag zur „Interkulturellen Kompetenz“ beschrieb Mehrnousch Zaeri-Esfahani wie Flüchtlinge in der Phase des Kennenlernens die deutsche Gesellschaft und ihre Besonderheiten erleben.

Bei der Ankunft gibt es zunächst eine Zeit großer Aktivität, dann kommt eine Phase des Nachdenkens, der Trauer und auch der Depression. Der spätere kulturelle Anpassungsprozess sei geprägt von der Frage: „Wieviel übernehme ich, wieviel von meiner eigenen Kultur gebe ich an meine Kinder und Enkel weiter?“

Mit der in der öffentlichen Diskussion oft geforderten „schnellen Integration“ sei keine Integration gemeint, sondern Assimilitation, eine völlige Anpassung an die deutsche Aufnahmegesellschaft unter Verzicht der eigenen kulturellen Identität.

Die angepassten Migranten sind für die Aufnahmegesellschaft sehr bequem, erklärte die Referentin, sie selbst hätten aber einen großen Verlust erlitten.

Das Beispiel der Gastarbeiter zeige wie Integration schieflaufen könne. Weder die deutsche Gesellschaft noch die Gastarbeiter selbst hätten sich in den Anfängen auf das Zusammenleben vorbereitet. Bei denen, die dauerhaft hier geblieben sind, kam es dadurch sehr häufig zur Separation, einem Leben weitgehend außerhalb der deutschen Gesellschaft. Integration hätte unter den gegebenen Umständen nicht stattfinden können.

Eine Annäherung sei in diesem Fall nur auf dem Weg der Assimilation möglich gewesen, wenn sich die zweite oder dritte Generation völlig an die deutsche Gesellschaft angepasst hat. Integration beginnt, wenn man sich wohl fühlt, „wenn ich meine Zukunft hier sehe“, so Zaeri-Esfahani. Erst wenn das gegeben ist, gibt es eine Bereitschaft die deutsche Sprache zu lernen. Integration sei ein langfristiger Prozess.

Verständnis für das, was die Flüchtlinge mitbringen und ein Wissen über die unterschiedlichen Kulturdimensionen, sei für die ehrenamtlichen Helfer hilfreich, um Frustrationen und Enttäuschungen zu vermeiden. Große Unterschiede gäbe es zwischen den Helfern und den Flüchtlingen beim Zeitverständnis. Frau Zaieri-Esfahani zeigte an Beispielen, warum es an diesem Punkt häufig Konflikte gibt.

In Deutschland lebt die Mehrheit nach einem monochronem Zeitverständnis, das heißt die Zeit wird als Moment wahrgenommen, der vorbeigeht und nie wiederkommt, Verabredungen sind verbindlich, Pünktlichkeit unabdingbar, Planung und Sicherheit durch Verlässlichkeit nehmen einen hohen Stellenwert ein – eines sollte nach dem anderen erledigt werden. Viele Flüchtlinge kommen dagegen aus Kulturen mit einem polychronen Zeitverständnis, sprich: Die Zeit verläuft in Zyklen, das heißt, sie kehrt immer wieder und richtet sich immer noch stark nach der Natur aus. Flexibilität ist wichtig. Spontaneität, Schicksalsergebenheit und Anpassung an die Gegebenheiten ist nötig, Sicherheit gibt es nicht. „Wenn nicht heute, dann morgen.“

Die Referentin gab den Anwesenden die Empfehlung nicht ungeduldig zu werden, sich auf das Zeitverständnis des Gegenüber einzustellen und umgekehrt keine Erwartungshaltung zu haben.

Die Forderung nach Pünktlichkeit und rasches auf den Punkt kommen sei gerade in der Phase des Kennenlernens hinderlich. Sich Zeit zu nehmen und einfach für den Anderen da zu sein, sei in der Anfangszeit ganz wichtig.

Von weiteren Kulturdimensionen, die in der ehrenamtlichen Zusammenarbeit eine Rolle spielen, wird in Teil 3 berichtet.

9 Jahren ago

1 Comment

  1. Beim Stichpunkt „Zeitverständnis“ fürchte ich, dass das für unsere Ehrenamtlichen in ihrer beruflichen und familiären Realität
    zu wirklichkeitsfern ist. Wir brauchen für Verabredungen (Sprachkurse etc) verlässliche Zeiten, weil wir zuviele andere Verpflichtungen haben, um stundenlang zu warten.

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